«Handelsabkommen – gute Rahmenbedingungen für die Nachhaltigkeits-Positionierung schaffen!»

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Die praxisfähige Ausgestaltung von Handelsabkommen unter Integration von Nachhaltigkeitszielsetzungen ist für die Ernährungswirtschaft von existenzieller Bedeutung. Lebensmittel-Industrie hat mit Dr. iur. Elisabeth Bürgi Bonanomi eine ausgewiesene Fachkraft befragt, worauf es ankommt.

Am «Centre for Development and Environment» (CDE) der Universität Bern forscht Elisabeth Bürgi Bonanomi als Expertin für Fragen der «Politischen Kohärenz für Nachhaltige Entwicklung» seit Jahren zu Nachhaltigkeitsfragen im globalen Handel. Neben den aktuellen Mercosur-Verhandlungen untersucht sie die Ausgestaltung bereits abgeschlossener Abkommen wie etwa mit Indonesien. Im Fokus stehen hier die Nachhaltigkeitskriterien für die Palmöl-Produktion, bekanntlich ein zentraler Rohstoff für die Schwerpunkt-Branche dieser Ausgabe und viele weitere Anwendungen.

Lebensmittel-Industrie: Der Bundesrat wurde durch das Stimmvolk über eine verschärfte Verfassungsbestimmung verpflichtet, Nachhaltigkeitszielsetzungen bei Handelsabkommen zu berücksichtigen. Ist dies beim aktuellen Mercosur-Abkommen erfüllt?
Dr. iur. Elisabeth Bürgi Bonanomi: Der Bundesrat ist gemäss dem neuen Artikel 104a der Bundesverfassung verpflichtet, Voraussetzungen für «grenzüberschreitende Handelsbeziehungen» zu schaffen, die zur «nachhaltigen Entwicklung der Land- und Ernährungswirtschaft beitragen». Der genaue Text des Mercosur-Abkommens ist noch nicht bekannt. Nach den bisherigen Informationen ist aber davon auszugehen, dass das Abkommen keine Nachhaltigkeitskriterien enthält, die eine grosse Wirkungskraft entfalten könnten.

Wie lassen sich Nachhaltigkeitszielsetzungen auf sinnvolle Weise in Handelsabkommen integrieren, insbesondere im Agrar-, Tierhaltungs- und Umweltbereich?
Seit mehreren Jahren ergänzt die Schweiz zusammen mit den EFTA-Staaten ihre Handelsabkommen mit einem Nachhaltigkeitskapitel. In diesem versprechen sich die Vertragspartner, Umwelt- und Menschenrechtsstandards zu beachten. Zur Einhaltung solcher Standards haben sich die Partnerländer in der Regel schon anderweitig verpflichtet, etwa indem sie Umweltabkommen oder Abkommen zum Schutz der Arbeitsrechte unterzeichnet haben.

Reicht dies angesichts der eher bescheidenen politischen Einflussmöglichkeiten der Schweiz, die Umsetzung durchzusetzen?
Diese Nachhaltigkeitskapitel sind zwar formal und rechtlich verbindlicher Natur. Dennoch entfalten sie keine starke Wirkung, weil die Schweiz deren Einhaltung nicht vor einem Schiedsgericht einklagen und Sanktionen ergreifen kann. Letzteres wäre auch schwierig für kleine Länder wie die Schweiz, da sie nicht das politische Gewicht haben, etwa um auf die Umwelt- und Menschrechtspolitik Brasiliens und Argentiniens insgesamt einzuwirken.

Die Schweiz zieht deshalb den Dialog vor. So haben die Partnerstaaten im Mercosur-Abkommen vereinbart, die Land- und Ernährungswirtschaft nachhaltig zu gestalten und sich in einem intensiven Dialog darüber regelmässig austauschen zu wollen. Das ist mehr als nichts, dürfte aber wahrscheinlich nicht sehr wirkungsvoll sein, es sei denn, der Dialog sei auf höchster Ebene angesiedelt und mit finanziellen Mitteln ausgestattet.

Welche Regelungen und Umsetzungsinstrumente empfehlen Sie mit Blick auf die effektive Wirkung?
Viel effektiver wäre es, die gewährten Zollkonzessionen direkt mit Nachhaltigkeitsvorgaben zu verknüpfen. Zollkonzessionen könnten nur für Produkte gewährt werden, die nachhaltig hergestellt worden sind. Möglich ist es, auch nur einen Teil der zusätzlichen Importe an solche Bedingungen zu knüpfen. Was «nachhaltig» heisst, muss dann natürlich im Abkommen definiert werden. Hier kann an gute Initiativen und Zertifizierungen der Privatwirtschaft angeknüpft werden, sofern solche in den Partnerländern zur Verfügung stehen.

Ein solches Vorgehen setzte einen wirksamen Anreiz zum Ausbau nachhaltiger Ernährungssysteme im Partnerland. Die Partnerländer müssten natürlich auf einen solchen Vorschlag eingehen. Der Anreiz für sie ist grösser, wenn gleichzeitig Unterstützung zum Aufbau nachhaltiger Ernährungssysteme in Aussicht gestellt wird.

Kennen Sie Beispiele, bei denen dies erreicht wurde – bei Abkommen mit der Schweiz oder zwischen anderen Handelspartnern?
Ja, im Abkommen zwischen den EFTA-Ländern, zu denen die Schweiz gehört, und Indonesien wurde erstmals dieser Ansatz verankert. Die Zollvergünstigungen für Palmöl werden – innerhalb der festgelegten Importquoten – nur gewährt, wenn dieses nachhaltig produziert worden ist. Die Nachhaltigkeitskriterien, die es einzuhalten gilt, sind klar formuliert und umfassen soziale und Umweltaspekte.

Auch hier steht und fällt die Wirksamkeit des Ansatzes jedoch mit der Art und Weise der Umsetzung. Indonesien ist ein komplexes Land, und heutige Zertifizierungen halten oft nicht, was sie versprechen. Die Umsetzung des Abkommens kann deshalb nicht alleine den Importeuren überlassen werden. Der Bund sollte den Importeuren die Arbeit erleichtern, indem er eine Expertise über Indonesien zur Verfügung stellt, das Verfahren genau regelt und über die Entwicklungszusammenarbeit den Aufbau nachhaltiger Wertschöpfungsketten unterstützt. So wird die nachhaltige Entwicklung in Indonesien effektiv unterstützt, und neue Märkte werden dort geschaffen, wo sie dringend benötigt werden.

Für Unternehmen der Lebensmittelbranche bedeuten Zusatzanforderungen sehr oft in erster Linie Mehraufwände. Welche Vorteile können verbindliche Standards bieten?
Wenn Nachhaltigkeitskriterien direkt mit Zollkonzessionen verknüpft werden, werden die Zölle für nachhaltige Produkte gesenkt, für nicht nachhaltig produzierte Produkte aber nicht. Das erleichtert es den Unternehmen, nachhaltige Produkte zu beziehen. Der Bund leistet den Unternehmen Hilfestellung, indem er Verfahren zur Verfügung stellt und im Idealfall den Aufbau nachhaltiger Anbausysteme im Partnerland unterstützt, was wiederum das Angebot erweitert.

Solche Prozesse können aber nur unter Einbezug der Branche aufgegleist werden, damit deren praktische Bedürfnisse berücksichtigt werden. Auch braucht es den Austausch mit Expertinnen und Experten nachhaltiger Ernährungssysteme, des jeweiligen Kontexts und der Zivilgesellschaft, um dem Prozess Wirksamkeit und Legitimität zu verleihen.

Welche Vorteile bieten Nachhaltigkeits-Branchenprogramme einerseits und weitergehende Labelanforderungen (z. B. Bio/Fairtrade etc.) für die Unternehmen?
Die Anstrengungen der Branchen und Unternehmen sollten die staatlichen Bestrebungen sinnvoll ergänzen. Die Aufgabe des Bundes ist es dabei, für die Unternehmen ein «enabling environment» zu schaffen, im Sinne guter Rahmenbedingungen für die Nachhaltigkeits-Positionierung. Sie können sich so besser differenzieren und einen wirksamen Beitrag zur globalen nachhaltigen Entwicklung leisten. Als erfolgreiches Beispiel für Branchenprogramme ist – neben den erwähnten Palmöl-Initiativen – etwa die privatrechtliche Initiative zum Import von Soja ohne GVO (Red.: gentechnisch veränderte Organismen) zu nennen. In Südbrasilien konnte sich dadurch ein Anbaugebiet für Nicht-GVO-Soja halten, was in Südamerika sonst fast nicht mehr vorkommt. Gegenwärtig werden die Auswirkungen dieser Nachfragedynamik auf die Ernährungsnachhaltigkeit vor Ort untersucht. Hier besteht noch Forschungsbedarf.

❱ University of Berne, Centre for Development and Environment (CDE), www.cde.unibe.ch

LEBENSMITTEL-INDUSTRIE 11/12 2019