Praktische Hauswirtschaft statt ökonomische Theorien?

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Obwohl meine Altgriechisch-Kenntnisse nicht sehr weit reichen, habe ich gelernt: Ökonomie lässt sich mit Blick auf die Wortbedeutung als «Hauswirtschafts-Lehre» übersetzen. Als Lebensmittel-Ingenieur FH verfüge ich zudem nur über Sekundärwissen zur universitären Ökonomie-Lehre. Gerade deshalb frage ich mich, ob eine stärkere und praxisorientierte Orientierung am Begriff «Hauwirtschaft» gerade für unsere Ernährungsbranche nicht sehr sinnvoll sein könnte.

In der klassischen Volkswirtschaftslehre wird zwischen den drei Wirtschaftsbereichen Agrar-, bzw. Primärsektor, gefolgt vom industriellen und dem Dienstleistungssektor unterschieden. Die fortgeschrittensten Volkswirtschaften sind demnach diejenigen mit dem höchsten Anteil der Beschäftigten im Dienstleistungssektor. Bei einer sehr schematischen Betrachtung bildet diese Aufteilung tatsächlich die Entwicklung der vergangenen rund 150 Jahre ab, namentlich auch in der Schweiz. Bei näherer Betrachtung war die starre Aufteilung in Wirtschaftssektoren nie viel mehr als eine statistische Kategorisierung. Was wir heute insbesondere in der Ernährungswirtschaft feststellen, ist eine fortschreitende Wiederverschmelzung der ganzen Wertschöpfungskette. Vollends unmöglich geworden ist eine klare Sektorenaufteilung mit Blick auf die immer komplexer und flexibler gestalteten Logistik- und Vertriebsstrukturen und der ständigen Erneuerung der Verkaufs- und Gastroformate.

In der aktuellen Carte Blanche nimmt uns Urs Niggli mit auf eine Reise in die Zukunft der Ernährungswirtschaft. Als Agrarwissenschaftler leitet er seit 1990 das Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL). Er hat die Entwicklung der Biolandwirtschaft wesentlich mitgeprägt. Heute wirkt er weit über die Biobranche hinaus weltweit als wichtiger Impulsgeber, weit über den Ackerfeldrand hinaus auch für die ganze Ernährungswirtschaft bis hin zu den derzeit dringlichen ökologischen gesellschaftspolitischen Herausforderungen.

Die Perspektiven für die Lebensmittelbranche der Zukunft sind glücklicherweise vielfältig und chancenreich. Klar ist jedoch: Noch viel wichtiger werden genaue Kenntnisse über die eingekaufte Lebensmittel-Qualität und verlässliche Partnerschaften entlang der idealerweise kurzen Lieferkette. Wer hier sein «Haus» nicht in Ordnung bringt, wird beim Sprung in die Zukunft auf unüberwindliche Hürden stossen. Das Erfolgsmodell der meisten Schweizer Unternehmen liegt schon heute nicht in der Massenproduktion. Die Entwicklung Richtung individueller Ernährung und flexible Qualitätsvielfalt bietet daher neue und interessante Chancen.

Dieser komplexen Entwicklung steht ein zunehmender Anteil der Bevölkerung gegenüber, die keinerlei Einblick in die Land- und Ernährungswirtschaft mehr haben. Wenn das Erfahrungs- und Alltagswissen fehlt, schaffen auch die transparentesten Informationen, Labelanforderungen und die entsprechenden Zertifizierungen nicht mehr Vertrauen. Was die Menschen, und zwar gerade nicht der sprichwörtliche «Bauer», nicht kennen, essen sie nur mit Misstrauen. Jenseits von Regelwerken und Marketing-Kampagnen gewinnt derzeit die gute, ehrliche Erzählung an Bedeutung. Neben der selbstbewussten Darstellung der Unternehmensleistungen müssen auch noch nicht gelöste Herausforderungen aufgezeigt werden.

Wer es schafft, diesen anspruchsvollen Weg zu gehen, kann auch in Zukunft auf das Vertrauen und die Treue seiner Kundschaft zählen.