Viele Sortimente mit Fokus auf gesunde Ernährung erfüllen zusätzlich religiöse Speiseanforderungen. RABBINAT ISRAELITISCHE GEMEINDE BASEL, IGB

Lebensmittel mit Koscher-Auszeichnung bieten oft auch weitere besondere Qualitätsanforderungen. RABBINAT ISRAELITISCHE GEMEINDE BASEL, IGB

Zeitgemässe gegenseitige Ergänzung: Koscher-Lebensmittel in Bioqualität. RABBINAT ISRAELITISCHE GEMEINDE BASEL, IGB

Halal und koscher – Ursprünge und Umsetzung heute

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Die traditionellen religiösen Speisevorschriften «koscher» und «halal» nehmen in der Lebensmittelverarbeitung eine nicht zu unterschätzende Bedeutung ein. Ein Blick auf die Hintergründe, die Praxisumsetzung und die Zukunftsperspektiven.

Haben Sie sich auch schon gefragt, was die «Halal»- oder «Koscher»-Logos auf entsprechenden Produkten eigentlich bedeuten und welche Anforderungen bei der Verarbeitung der ensprechenden Lebensmittel berücksichtigt müssen?

Ursprung
Halal ( لالح ) heisst erlaubt, basiert auf koranischen Vorgaben und wird durch Moslems angewendet. Koscher ( ,רשכ Substantiv: תורשכ Kashrut) heisst rituell unbedenklich. Es handelt sich um ein jüdisches Konzept basierend auf alttestamentlichen, in der jüdischen Tradition «Tanach» genannt, sowie rabbinischen Ver- und Geboten und ist vermutlich ein Vorläufer des halal. Sowohl halal als auch koscher beziehen sich nicht nur auf Lebensmittel, werden aber hauptsächlich da wahrgenommen. Bekannt ist allenfalls noch «halal-banking», auch «islamic banking» genannt oder Schabbat-Regeln wie «kein Feuer machen».

Sowohl das orthodoxe Judentum, noch mehr der Islam, verstehen ihre Religion ganzheitlich. Lebensbereiche wie Essen, Politik, Kindererziehung, soziales Verhalten werden durch die Religion bestimmt. Die Ausdrücke halal und koscher meinen im Grundsatz: Ein gottgefälliges Leben führen. Folglich sollen das Tierwohl, Rechte der Angestellten, Thora- oder Koran-Gehorsam und Umweltaspekte einfliessen (Lever & Fischer 2019:23f.). In der jüdischen Theologie steht Essen als grundsätzlich menschliches Bedürfnis als Metapher für alle ökonomischen Aktivitäten (Yanklowitz 2019:78).

Markt
Koscher-Produkte sind in Europa nicht (mehr) allzu weit verbreitet, in den USA und Israel ist die Koscher-Auszeichnung von Lebensmitteln jedoch ein gewichtiges Verkaufsargument. Es wird mit ca. 25 Mio. Konsumenten gerechnet, dazu kommt jedoch, dass ca. 60 % der koscheren Lebensmittel aufgrund nicht-religiöser Werte wie Gesundheit und Lebensmittelsicherheit konsumiert werden. Der Markt ist also einiges grösser (Lever & Fischer 2019:3f.). Halal-Produkte dagegen weisen auch hierzulande eine zunehmende Tendenz auf. Man schätzt weltweit rund 2 Milliarden Moslems. Viele internationale Produzenten haben dieses Potenzial erkannt und lassen ihre Produkte halal-zertifizieren (siehe z. B. Abdelhafidh 2016).

Insbesondere bei fleischlosen Lebensmitteln kann koscher gleichzeitig auch halal heissen – aus diesem Grund findet man in saudischen Supermärkten amerikanische Koscher-Produkte! Die gegenseitige Akzeptanz wird allerdings mehr von Halal-Konsumenten (für koscher) als durch Koscher-Konsumenten (für halal) wahrgenommen. Nichtjüdische oder nicht-muslimische Konsumenten stehen entsprechenden Labels meist neutral gegenüber.

Produktion
Halal und Kashrut unterscheiden sich in der Ausprägung, zumeist unterliegt Kashrut strikteren Anforderungen als halal. Einfach gesagt, liegt der grosse Unterschied für die Anwender im muslimischen Alkoholverbot. Für die Lebensmittel- oder Produktehersteller ist der Unterschied jedoch markanter: Bei halal erfolgt eine allgemeine, oft jährliche Zertifizierung eines Produktes. Kashrut bedingt eine chargenbezogene Zertifizierung: D. h., jede Koscher-Produktion wird durch einen Maschgiach oder Rabbi begleitet und freigegeben.

Fleisch, Schächten – Vegetarismus
Die Wahrnehmung von halal und koscher zeigt sich insbesondere am Fleisch bzw. dem Schlachten von Tieren durch Schächten, also ein Töten des Tieres ohne Betäubung, mit dem Ziel der vollständigen Ausblutung des Körpers. Gleichzeitig ist dies normalerweise der einzige Aspekt, wo der Gesetzgeber in religiöse Anforderungen eingreift. In der EU ist Schächten erlaubt, solange es in einem Schlachthof stattfindet (EU 1099/2009, Art. 4 Abs. 4). In der Schweiz ist Schächten verboten (Bundesverfassung Art. 80, Tierschutzgesetz Art. 21) (historische Entwicklung dieses Verbotes: siehe Brunner 2017:5ff.). Einerseits ist fraglich, ob die industrielle Tierhaltung und -schlachtung überhaupt noch einen Zusammenhang zu den vor-globalisierten und vor-industrialisierten Zeiten des Alten Testaments beziehungsweise des Korans haben; ethische Überlegungen dagegen können sehr wohl angewendet werden. Andererseits gibt es Ansätze, das schnelle, schmerzlose und individuelle, anstatt die übliche industrielle Schlachtung auch mit vorheriger Betäuben zuzulassen (Yanklowitz 2019:37; Department of Standards Malaysia 2009).

Viele Juden fragen sich heute, ob ein hoher Fleischkonsum in koscherer Qualität vereinbar ist mit Kashrut. Da Fleisch heute erschwinglicher und verfügbarer ist als früher, aber mit negativen Konsequenzen für das Tierwohl und Umwelt belastet ist, werden Stimmen für jüdischen Vegetarismus oder zumindest eine starke Reduktion des Fleischkonsums laut (Yanklowitz 2019:218ff.240).

Schlussendlich möchte der Koscher-Konsument nicht nur ein garantiert koscheres Produkt (Vertrauensfrage), sondern auch die ganzheitlichen Aspekte berücksichtigt haben wie Bio, Gewaltfreiheit, Fair Trade, lokale Produktion etc. (Yanklowitz 2019:252). Ähnliches gilt im Halal-Bereich. Der Fleischkonsum pro Kopf ist jedoch, wohl aus ökonomischen Gründen, geringer. Allerdings ist offensichtlich, dass vegetarische Produkte einfacher in Halal-Qualität herstellbar sind; aus diesem Grund tendieren viele Moslems zu vermehrtem Konsum von vegetarischen Lebensmitteln. Bekim Alimi, Imam der Moschee in Wil SG, bestätigt die Problematik in Bezug auf Fleisch, welches aus dem Ausland kommt und geschächtet ist oder zumindest als solches verkauft wird und ein damit einhergehender Trend zu vermehrter vegetarischer Ernährung.

Zertifizierung
Die Komplexität heutiger Produktionsverfahren und globalisierter Lebensmittelketten erschweren die Produktsicherheit in Bezug auf halal und koscher. Problemprodukte sind z. B. Lab, Gelatine, Lactose, Na-Caseinat, Vitamine, Eier. Weitere Probleme entstehen bei Unternehmen, welche nur bestimmte Chargen halal oder koscher herstellen, also ihre Anlagen und Abläufe entsprechend vorbereiten müssen, die sogenannte «Kascherisierung». Religiöse Verbraucher verlassen sich historisch gesehen auf drei Ebenen: 1) ihnen bekannter Hersteller/Verkäufer, 2) Empfehlung durch religiösen Leiter, 3) Lebensmittel mit einem entsprechenden Label.

Heute wird meist auf Letzteres gesetzt; die Kommunikation von entsprechenden Labels ist entsprechend wichtig. So wird als wichtigste Errungenschaft der letzten Jahrzehnte die Herstellung und der Vertrieb von Koscher- und Halal-Produkten angesehen. Auch Bekim Alimi begrüsst eine Zertifizierung und eine entsprechende Kennzeichnung von Lebensmitteln als zukunftsweisenden Ansatz.

Heute gibt es Hunderte von staatlichen, beispielsweise in Malaysia, Singapur oder Brunei, sowie private, sich teils widersprechende, Halal- bzw. Koscher-Zertifizierungsstellen. Ein weiteres Dilemma zeigt sich darin, dass halal wie auch koscher selten standardisiert, dokumentiert oder eindeutig sind. Ausnahmen bildet etwa der Halal-Standard «Malaysia MS1500» und der US-Koscher-Standard «Magen Tzedek». Halal und koscher sind also weder rechtlich definiert noch geschützte Bezeichnungen. Regierungen oder Gerichte weigern sich normalerweise, eine Position einzunehmen. Dies öffnet natürlich die Türen zu «food fraud» (Meulen 2011: Kap. 4 und 12). Auf der anderen Seite gibt es vermehrt moslemische bzw. jüdische Religionsangehörige, welche sozusagen ein «Light-Konzept» anwenden: Abstinenz von Schweinefleisch und Alkohol = halal; kein Schweinefleisch, Milch und Fleisch nicht gemeinsam essen = koscher.

Die Thematik halal und koscher wird uns sicherlich weiter begleiten und auch unsere (nicht-religiöse) Herangehensweise an Lebensmittel herausfordern. Achten Sie einmal in einem Lebensmittelladen auf entsprechende Labels!

Koscher und Halal
Thora/ 5. Mose 14,6-8,Übersetzung Zürcher Bibel «Und jedes Tier, das gespaltene Klauen, und zwar zwei ganz gespaltene Klauen, hat und das wiederkäut, dürft ihr essen. Doch von denen, die wiederkäuen, und von denen mit ganz gespaltenen Klauen, dürft ihr diese nicht essen: das Kamel, den Hasen, den Klippschliefer – denn sie sind zwar Wiederkäuer, haben aber keine ganz gespaltenen Klauen; sie sind für euch unrein – und das Wildschwein, denn es hat zwar gespaltene Klauen, ganz gespaltene Klauen, es ist aber kein Wiederkäuer. Es ist für euch unrein. Von ihrem Fleisch dürft ihr nicht essen, und ihr Aas dürft ihr nicht berühren.»

Koran Sure 5 Vers 3a, Übersetzung: Rudi Paret «Verboten ist euch der Genuss von Fleisch von verendeten Tieren, Blut, Schweinefleisch und von Fleisch, worüber beim Schlachten ein anderes Wesen als Allah angerufen worden ist.»

Literaturquellen
❱ Abdelhafidh, Abdeli 2016: «Schweizer Firmen richten Blick
auf Halal-Markt» – swissinfo.ch: swissinfo.ch/ger/wirtschaft/halal-produkte_schweizerfirmen-richten-blick-aufhalal-markt/42042570 [Stand 2020-04-2].
❱ Brunner, Julian 2017: «Das Schweizer Schächtverbot» – Geschichte, Rechtsposition und Auswirkungen: https://adam.unibas.ch/goto_adam_file_521299_download.html [Stand 2020-04-1].
❱ Department of Standards Malaysia 2009: Malaysian Standard MS 1500:2009. Halal Food – Production, Preparation, Handling and Storage – General Guidelines.
❱ Lever, John & Fischer, Johan 2019: «Kosher and halal business compliance»
❱ Meulen, Bernd van der (Hg.) 2011: «Private food law: governing food chains through contract law, self-regulation, private stands, audits and certification schemes» – Wageningen: Wageningen Acad. Publ.
❱ Yanklowitz, Shmuly (Hg.) 2019: «Kashrut and Jewish food ethics» – Boston: Academic Studies Press.

Markus Hochuli
ist Lebensmittel- (ZHAW) und Verpackungsingenieur (FH Konstanz) und interessiert sich seit 25 Jahren für semitische Kulturen. Er hat rund 7 Jahre in Israel und in mehreren arabischen Ländern gelebt und gearbeitet.